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Faustpfand für Rachmon?

Warum Deutschland einen Tadschiken trotz Foltergefahr abschiebt

Deutschland schiebt einen Verwandten von Gegnern des tadschikischen Diktators ab. Nun sitzt er in Duschanbe im Gefängnis. Menschenrechtsaktivisten machen Berlin schwere Vorwürfe.

Von Othmara Glas und Friedrich Schmidt, Moskau

Es ist der 9. Februar, als Abdullo Shamsiddin das vorerst letzte Mal mit seiner Frau telefoniert. Wenige Wochen zuvor war er aus Deutschland nach Tadschikistan abgeschoben worden. Nun sitzt er dort im Gefängnis. Er habe geweint und sie aufgefordert, nicht an Kundgebungen teilzunehmen und sich nicht an Medien zu wenden, sagt seine Frau. Das würde ihm schaden.

Sumaja Pirowa spricht dennoch mit der F.A.Z. Denn sie fürchtet, dass Shamsiddin gefoltert wird. Und sie erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung: «Zwei Länder, Deutschland und Tadschikistan, verstoßen gegen Menschenrechte.» Die deutschen Behörden hätten gesagt, ihr Mann werde in Tadschikistan nicht im Gefängnis landen.

In Duschanbe, der Hauptstadt von Tadschikistan, bestreiten der Generalstaatsanwalt und der Innenminister, etwas von der Verhaftung zu wissen. Letzterer sagte auf einer Pressekonferenz Mitte Februar, dass er aus den Medien von der Abschiebung erfahren habe. Seine Behörden hätten Shamsiddin aber nicht verhaftet, «davon wissen wir nichts».

Politische Gefangene, Folter und Schauprozesse

Tadschikistan ist einer der repressivsten Staaten der Welt. Seit mehr als dreißig Jahren herrscht dort Emomali Rachmon. Er lässt Oppositionelle und ihre Verwandten verfolgen, Journalisten einsperren. Es gebe Hunderte politische Gefangene, Folter, Schauprozesse und Tötungen friedlicher Demonstranten, sagt Steve Swerdlow, ein Menschenrechtsanwalt, der an der University of Southern California in Los Angeles lehrt.

Swerdlow hält es für «sehr wahrscheinlich», dass Shamsiddin misshandelt wird. Die Abschiebung kritisiert er als «absolut schockierend und vollkommen unvereinbar mit Berlins internationalen Verpflichtungen». Diese untersagen es, Personen in Staaten zurückzuführen, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

Der 32 Jahre alte Shamsiddin kam 2009 nach Deutschland. Er lebte zuletzt in Dortmund, arbeitete und verdiente genug für seinen Lebensunterhalt. Seine Eltern wohnen in Aachen. Sie sind als Flüchtlinge anerkannt. Shamsiddins Vater ist ein bekannter Oppositionspolitiker, Führungsmitglied der in Tadschikistan verbotenen Islamischen Partei der Wiedergeburt (IPWT). In Abwesenheit wurde er in seiner Heimat zu 15 Jahren Haft verurteilt. Auch Shamsiddin war in der Partei aktiv.

Doch weder die Behörden noch die Gerichte gehen davon aus, dass Shamsiddin Folter in Tadschikistan droht. Vor allem, weil sie seine Identität anzweifeln. Denn als Shamsiddin nach Deutschland kam, änderte er seinen Nachnamen in Abdullo. Die Gründe unterscheiden sich, je nachdem, mit wem man aus seinem Unterstützerkreis spricht. Entweder hatte ihm jemand erzählt, dass er mit einer falschen Identität seine Chancen auf Asyl steigern würde. Oder er hatte Angst vor tadschikischen Geheimdienstleuten in Deutschland. Alle Gesprächspartner sind sich aber einig, dass Shamsiddin damals naiv war.

Falsche Identität angegeben

Sein erster Asylantrag wurde 2011 abgelehnt, er blieb aber im Land. Zu den falschen Identitätsangaben kamen drei Vorstrafen. So verurteilte ihn ein Jugendgericht 2012 wegen Vergewaltigung zu 18 Monaten Haft auf Bewährung. Zwei Jahre später arbeitete Shamsiddin in einer Flüchtlingsunterkunft, als dort Wachleute Bewohner misshandelten. Er schritt nicht ein und wurde wie mehr als drei Dutzend Personen in dem Fall angeklagt. Wegen Freiheitsberaubung erhielt er eine Geldstrafe.

«An dem klebt das Pech», sagt Cornelia Suhan, Sprecherin von Shamsiddins Unterstützerkreis. Sie hält den Tadschiken nicht für einen Vergewaltiger. Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland habe er eine Russin kennengelernt. Dass sie verheiratet war, habe er nicht gewusst. Als das Verhältnis aufflog, habe sie ihre Ehe mit dem Vergewaltigungsvorwurf retten wollen. Die Fotojournalistin Suhan, die einen Verein gegründet hat, der Frauen und Mädchen unterstützt, die Gewalt erfahren haben, hält Shamsiddins Darstellung für glaubwürdig. «Abdullo hat vieles nicht ernst genommen», sagt Suhan.

Der falsche Abdullo durfte, solange er geduldet war, arbeiten. Die Erlaubnis wurde ihm jedoch vor knapp zwei Jahren von der Ausländerbehörde entzogen. «Wohl auch, um Druck auszuüben», sagt Suhan. Shamsiddin gab seine wahre Identität preis. Doch die Beamten glaubten ihm nicht, lehnten auch den zweiten Asylantrag ab. Im Dezember wurde er nach München gebracht, von wo aus ein Flugzeug nach Duschanbe gehen sollte. Aus Panik schlug er seinen Kopf so hart gegen eine Wand, dass seine Nase brach. Die Abschiebung wurde ausgesetzt.

In der Abschiebehaft stellte Shamsiddin einen dritten Asylantrag. Der wurde im Schnellverfahren abgelehnt. Auch das von seinem Anwalt beantragte Abschiebeverbot scheiterte vor Gericht. Als Grund wurde die falsche Identität angegeben. Das Ergebnis eines selbstorganisierten DNA-Tests warteten die Behörden nicht ab und setzten ihn am 18. Januar in ein Flugzeug nach Tadschikistan.

Ein «lohnendes Ziel»

Die Abschiebung verurteilter Straftäter hat für die schwarz-grüne Landesregierung in Düsseldorf Priorität. Doch auch sie haben Rechte: Droht ihnen im Herkunftsland Folter oder gar der Tod, gilt ein Abschiebeverbot. Shamsiddins Identität war zum Zeitpunkt der Abschiebung eigentlich geklärt: Im Juni waren Vertreter der tadschikischen Botschaft zu einer Anhörung in der Zentralen Ausländerbehörde in Essen. Werden Asylanträge abgelehnt, fehlen den Ausreisepflichtigen aber die Dokumente für die Heimreise, stellt die Botschaft des Herkunftslandes Passersatzpapiere aus. Wie im Fall Shamsiddins. Der sei trotz der drohenden Abschiebung nach dem Termin optimistisch gewesen, sagt Suhan. Schließlich hätten die deutschen Behörden nun die Bestätigung, wer er sei.

Zwar wurde weiter Shamsiddins Mitgliedschaft in der IPWT infrage gestellt. Aber in Tadschikistan werden Verwandte von Oppositionellen oft in Sippenhaft genommen. Und Shamsiddin ist ein doppeltes Faustpfand für das Regime, nicht nur wegen seines Vaters, sondern auch aufgrund seiner Frau gefährdet: Sumaja Pirowa ist eine Nichte von Muhiddin Kabiri, dem Vorsitzenden der IPWT. Der in der EU als anerkannter Flüchtling lebende Kabiri ist der größte Feind von Präsident Rachmon.

Kabiri sagt der F.A.Z., Shamsiddin sei für den Diktator ein besonders «lohnendes Ziel» gewesen. Seit der Abschiebung müsse er noch häufiger den Aufenthaltsort wechseln als zuvor: «Aus Abdullo werden jetzt alle Informationen herausgequetscht.» Bekannt sei nur, dass Shamsiddin in dem Untersuchungsgefängnis in Duschanbe verhört werde, in dem der Geheimdienst GKNB einen Teil verwalte. Vorige Woche habe Shamsiddin dort Besuch von seiner Schwester empfangen können — obwohl Rachmons Behörden weiter beteuerten, keinen Häftling Abdullo Shamsiddin in ihrer Gewalt zu haben.

Kabiri hat allen Grund, auf der Hut zu sein. Vor acht Jahren wurde ein anderer Gegner Rachmons in Istanbul von einem Killer erschossen; die türkischen Behörden machten den tadschikischen Staat für den Mord verantwortlich. Das Opfer, Umarali Kuwwatow, hatte eine Partei gegründet, deren Bedeutung bei Weitem nicht an die der IPWT heranreichte. Letztere hatte Zehntausende Mitglieder in Tadschikistan und war ein Schlüsselakteur der Beendigung des Bürgerkriegs, in dem in den Neunzigerjahren Zehntausende Menschen umkamen.

Ein in Moskau ausgehandeltes Friedensabkommen sah eine Machtbeteiligung der Opposition um die IPWT vor. Jahrelang war sie als gemäßigte Oppositionskraft an der Regierung beteiligt. Bis Rachmon Wahlen fälschen und die Partei 2015 als «terroristisch» verbieten ließ. Eine Reihe ihrer Führungsfiguren wurde verhaftet und zu langen Freiheitsstrafen bis hin zu lebenslanger Haft verurteilt.

Kabiri kehrte damals von einem Auslandsaufenthalt nicht zurück. Menschenrechtsanwalt Swerdlow sagt, Oppositionelle wie sie «leben mit der ständigen Bedrohung, ermordet oder nach Tadschikistan ausgeliefert zu werden». Kabiri selbst sieht hinter dem Handeln der deutschen Behörden die im Westen verbreitete Logik, dass Rachmon als säkularer Diktator nicht so schlimm sei wie etwa das Mullah-Regime in Iran. Das sei ein Trugschluss: Herrscher wie Rachmon inszenierten sich als Bollwerk gegen radikale Islamisten, die jedoch gerade davon profitierten, wenn sich junge Leute frustriert von den Befürwortern von Verhandlungen und freien Wahlen abwendeten.

Rachmon nutzt Schwäche Russlands

Zudem profitiert Rachmon von Russlands Schwächung im Krieg gegen die Ukraine. Zwar seien, so Kabiri, über die Jahre mehr als hundert Mitstreiter seiner Partei aus Russland, wo viele Tadschiken leben, nach Tadschikistan deportiert worden. Moskau habe sich aber lange gegen Rachmons Forderung gesträubt, die IPWT auch in Russland als «terroristisch» zu verfolgen. Im September jedoch, bald nach einem Besuch von Präsident Wladimir Putin in Duschanbe, war es so weit: Moskau gab dem tadschikischen Regime nach. «Putin ist so geschwächt, dass er Rachmon entgegengekommen ist», folgert Kabiri. Swerdlow sagt, Rachmon habe jetzt freie Hand, «alle wirklichen und imaginären Gegner zu verfolgen».

Kabiri berichtet, im Gegenzug für Russlands Unterstützung verfolge Tadschikistan als einziges Land Zentralasiens nicht seine Landsleute, die für Putin in der Ukraine kämpfen. Viele seien dort schon gefallen. Die IPWT forderte ihre Anhänger auf, Russland zu verlassen. Für den exilierten Vorsitzenden bedeutete Putins Einschwenken auf Rachmons Kurs aber auch, dass er selbst jetzt offen die Ukraine und die russische Opposition unterstützen kann. «Vorher hatte ich Angst um unsere Mitstreiter in Russland», sagt Kabiri. «Jetzt sind sie verhaftet oder abgeschoben, und ich habe die Hände frei.»

Sumaja Pirowa, deren Whatsapp-Profilbild Shamsiddin und die beiden 2020 und 2022 geborenen Söhne zeigt, lebt mittlerweile in Litauen, hat dort einen Flüchtlingsstatus. Shamsiddins Unterstützer sagen, die deutschen Behörden hätten das Recht auf Familienzusammenführung ignoriert. Sie fragen, warum er nicht einfach nach Litauen ausreisen durfte — ohne Umweg über Tadschikistan. Das Ausländeramt in Dortmund teilt der F.A.Z. mit, dass Shamsiddin «mehrfach zu der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nach Litauen beraten worden» sei. «Diese Möglichkeit hat er stets für sich ausgeschlossen.» Pirowa sorgt sich um die Gesundheit ihres Mannes. «Abdullo hat Asthma», sagt sie. «Im ersten Brief, den er aus dem Gefängnis schickte, bat er um Medikamente.»

Faz

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